“Viele Gespräche in den letzten Monaten mit Kritiker der Landwirtschaft liegen hinter mir. Immer versuchte ich, sachlich Schritt für Schritt, die Vorwürfe durch Fachargumente zu relativieren oder zu entkräften. Und fast immer komme ich bei den Gesprächen mit den Kritikern an einen Punkt, in dem sie sich eigentlich eingestehen müßten: „In Ordnung, dieser Informationen hatte ich nicht und mein bisheriges Bild und Urteil war nicht vollständig und somit mein Urteil voreilig.“ Aber erlebt habe ich dieses Eingeständnis nie. Ich habe das Gefühl, meine Gesprächspartner würden damit ihr vorgefertigtes Weltbild und Feindbild Landwirtschaft sonst selbst zerstören. Und was bliebe dann? Grund genug für mich zu fragen: „Wenn es nicht die rationale Sachebene ist, was ist dann die eigentliche Motivation für ihre Kritik an der Landwirtschaft?“
Je mehr ich im Gespräch über die Lebensgeschichte und Lebensumstände der „Aktivisten“ erfahre, um so mehr wird deutlich, dass die vordergründige Kritik an der Landwirtschaft in Wirklichkeit ein nicht gelöster Konflikt in ihrem eigenen Lebensbereich ihren Ursprung hat und die Landwirtschaft nur als Projektionsfläche ihres eigenen Problems dient.
Nur ein paar Beispiele: Bei Diskussionen mit „Tierschützern“ stelle ich immer wieder fest, dass in ihrer eigenen Lebensgeschichte (meist kindliche Traumata) der Ursprung ihres Verhaltens zu suchen ist. Tod eines Elternteiles, Scheidung, Verlust eines Kindes usw. erzeugen Verlustängste und hinterlassen eine Sehnsucht nach einer heilen Welt. Ein ständig verfügbares Haustier gibt das Gefühl des „treuen Begleiter“, der einen nicht in Stich lässt. Auch als Ersatz für fehlende Kinder oder Partner erscheint das Tier als „besserer Mensch“ und wird nicht mehr als andere Spezies gesehen, sondern als Familienmitglied. Der ursprüngliche Anspruch des Tierschutzes, mit allen Lebewesen würdevoll umzugehen, wird also hier bei weiten überschritten, wenn nicht sogar die Messlatte beim „Tierschutz“ inzwischen noch höher angelegt wird als beim Menschenschutz.
Oder wie ist die moralische Diskussion zu verstehen, dass es bei der frühen Geschlechtsbestimmung beim Kükenembryo im Ei und die darauffolgende Entscheidung über den Abbruch der weiteren Bebrütung eines männlichen Embryos, zu folgenden Aussage der Tierschützer kam: „Diese Vorgehensweise ist ethisch auch abzulehnen, denn auch der Embryo im Ei ist bereits schützenswertes Leben“. Im menschlichen Bereich wird aber der Schwangerschaftsabbruch immer mehr „normalisiert“ und man verbittet sich jegliche Kritik. Beides Male handelt es sich um werdendes Leben, wird aber unterschiedlich bewertet. Und weil man eben so viele ungelöste moralische Fragen und Konflikte im eigenen Lebensbereich unterschwellig spürt und keine Antwort oder Lösung darauf findet, verlagert man dies auf ein Ersatzfeld (Landwirtschaft) um dort die heile Welt zu fordern, die man in der eigenen Arbeits- und Lebenswelt nicht findet.
Gerade Großstadtbewohner sind sehr empfänglich für diese „Ersatzbefriedigung“. In einer Millionenstadt zu leben, dicht gedrängt (Massenmenschenhaltung), ohne Chance die wichtigsten Ressourcen (Trinkwasser, Nahrungsmittel, Sauerstofferzeugung, CO2-Bindung, Abfallverwertung in Kreislaufwirtschaft, usw.) und tragfähiges, gemeinschaftliches, soziales Leben in dieser Lebensweise umsetzen zu können, macht hilflos. Diese Hilflosigkeit wird in Aktivismus für eine bessere, heile Welt umgesetzt. Aber eben nicht im eigenen Lebensraum, sondern in Forderungen an die Landwirtschaft. Damit verlagert man seinen eigenen moralischen Anspruch auf andere und fühlt sich gut. Das alles, ohne seine eigene Lebensweise ändern zu müssen.
In einer Diskussion mit Fridays for Future Aktivisten kam dies einmal offen zum Tragen. Dabei wurde uns Landwirten unser klimaschädliches Verhalten vorgeworfen. Als eigener Beitrag wurde von den (hauptsächlich) weiblichen Teilnehmerinnen ihre vegane Ernährung als Beispiel angeführt. Auf meine Frage, ob sie nicht auch andere Möglichkeiten in ihrer Lebensweise sehen, bei der man CO2 vermeiden könnte verwiesen sie auf ihre beschränkten Möglichkeiten als Schüler oder Student. Nun, dann gab ich Ihnen ein paar Beispiele. Alleine das Streamen von Musik und Videos oder Filmen per Netflix und Co. verbrauchen so viel Energie, dass man ganze Länder mit Energie versorgen könnte. Auch das Schürfen von Bitcoins als Student nebenbei trägt dazu bei. Die Bestellungen bei Amazon, Zalando und Co. inclusive Rücknahme, hat zu einer Explosion des Energieverbrauchs im Logistikbereich und Verkehr geführt. Das eingeplante Sabbatjahr in Form von „work and travel“ weltweit, um den Horizont zu erweitern, ist klima-moralisch nicht mehr zu rechtfertigen.
Nach der Auflistung meiner Punkte blieb es still in der Runde. „Aber mit unseren Fleischverzicht tun wir doch auch schon etwas für das Klima“ – so ihre Antwort. Nein, antwortete ich. Im Vergleich zu euren sonstigen Verhalten ist das nur ein Feigenblatt. Denn die eigentlichen Motive für Fleischverzicht sind gerade bei jungen Frauen andere.
- Schönheitsideal – viel Fleisch wird immer noch mit „dick machen“ in Verbindung gebracht – was allerdings nicht stimmt.
- Viel Fleisch ist ungesund – was auch nicht stimmt. Was ist viel? Welches Fleisch? Wie oft? Ist künstlich hergestelltes Vitamin B besser? Umweltfreundlicher? Natürlicher?
- Das grundsätzliche Problem mit dem Tod – Dieses Thema wird in unserer Gesellschaft zunehmend verdrängt, sowohl beim Mensch als beim Tier wird. Also soll schon gleich kein Tier wegen mir sterben um mich dieser Frage zu entziehen.
- Tierhaltung ist nicht mehr artgerecht – Projektion der eignen (nicht menschengerechten) Lebensweise in der Stadt
- Ihr eigener Umgang mit Tieren – Vermenschlichung des Tieres als Ersatz. Aus Egoismus halte ich ein Tier, um meine sozialen Bedürfnisse zu befriedigen, und meine, dem Tier geht es gut.
- Sie kreiden der Nutztierhaltung den Verbrauch von Pflanzennahrung (z.B. Soja) an, obwohl alleine die Heimtiere (die nur aus Spaß gehalten werden) so viel Nahrung verbrauchen, dass man locker das ganze Bundesland Hessen damit ernähren könnte. Der gleiche Mensch versteht aber nicht, dass bei der Nutztierhaltung es wieder in Nahrung umgewandelt wird und bei der Heimtierhaltung verbraucht wird.
Mein Fazit aus diesen Gesprächen
Ich erreiche beim Gegenüber mehr, wenn ich nicht mit Sachargumenten antworte, sondern auf seine eigene Lebenswirklichkeit eingehe, ihm seine moralischen Widersprüche aufzeige und die Ursprünge der ablehnenden Gefühle gegenüber der Landwirtschaft erkläre. Eigentlich handelt sich bei den massenhaften Kritikpunkten an der Landwirtschaft um ein psychologisches Problem unserer Gesellschaft!